Nudging zu nachhaltigerem Verhalten

 

Wie bringt man die Leute dazu, Energie zu sparen oder umweltfreundlicher und gesünder zu leben? Als neuen politischen Lösungsansatz, der das Verhalten der Bürger positiv beeinflusst, sehen viele das verhaltenspsychologische Prinzip des Nudgings (Engl. für „Anstubsen“). Mithilfe neuer Methoden sollen Menschen einen kleinen Schubs in die richtige Richtung bekommen, damit sich gesellschaftspolitische Ziele besser umsetzen lassen. Jetzt ist auch die deutsche Poltik aufmerksam geworden.

Experten warnen fast täglich vor den gravierenden Folgen des Klimawandels und der Umweltzerstörung, wenn wir Verbraucher unseren Lebensstil nicht endlich ökologischer und nachhaltiger gestalten. Appelle an unseren Verstand und unsere Einsicht, umfangreiche Informationskampagnen und breite Aufklärung gibt es seit Jahren – doch trotzdem tut sich wenig.

80 Prozent der Bürger wären nach einer Studie der Universität Magdeburg auch bereit, ihr Verhalten zu ändern, zum Beispiel mehr Energie zu sparen, ab und zu auf ihr Auto zu verzichten, etc.. Doch dann siegt die Bequemlichkeit, Dinge werden aufgeschoben. Man nennt das Status Quo-Bias (engl. für Neigung, Verzerrung). Er beschreibt, dass das Gehirn bei Auswahlentscheidungen immer dazu tendiert, alles beim Alten lassen. Gründe dafür sind zu viel oder zu wenig Information, Zeitmangel, Faulheit, aber auch der menschliche Herdentrieb. Der Mensch wählt also nicht zwangsläufig die für ihn rational beste Alternative. Zudem denken wir bei Entscheidungen meist nicht an deren wirtschaftliche und ökologische Konsequenzen in der Zukunft.

Zwar glauben wir, unser Handeln sei vom Willen bestimmt – doch Neurologen, Psychologen und Verhaltensökonomen wissen, dass 30-50 Prozent automatisiert ablaufen. Alltägliche Verhaltensweisen und Routinen sind stark habitualisiert. Die bloße Absicht, uns zu ändern, bringt also nichts, unsere Gewohnheiten sind kognitiv nicht so leicht erreichbar. Vielmehr handelt es sich um automatisierte Prozesse, die durch Schlüsselreize ausgelöst automatisch abspult werden. Jeder, der schon einmal versucht hat, abzunehmen, kann ein Lied davon singen.

Nach den deutschen Psychologen Fritz Strack und Roland Deutsch wird soziales Verhalten des Menschen durch zwei Systeme determiniert: einem reflektiven System, das zielorientiert arbeitet und auf Werten, Absichten und langfristigen Zielen basiert, sowie einem impulsiven System, das spontan durch Gefühle und Umwelt-Schlüsselreize aktiviert wird. Das aktuelle Erleben hat für Menschen meist eine höhere Priorität, als langfristige Pläne in der Zukunft. Deshalb überwiegt in Entscheidungsstrukturen in der Regel der Einfluss des impulsiven Systems.

So benötigt das impulsive System des Menschen gelegentlich kleine Hilfestellungen, um sich – unbewusst – richtig zu entscheiden. Genau hier setzt das sogenannte „Nudging“ an. Verhaltensökonomen übersetzen Nudging mit „Anstoß geben, anstubsen“, um Menschen „zu helfen“, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Anders als bei Vorschriften und Gesetzen werden die Handlungsoptionen des Einzelnen dabei nicht eingeschränkt, lediglich die Vorhersehbarkeit menschlichen Verhaltens wird ausgenutzt. Der Trick: Die „richtige“ Entscheidung wird zur einfachsten gemacht, so wird der Einzelne in die richtige Richtung gestubst.

Paradebeispiel für erfolgreiches Nudging ist die aufgemalte Fliege in Pissoirs. Da Männer auf die Fliege zielen, landet weniger Urin auf dem Boden, die Sauberkeit der Toiletten verbessert sich um 80 Prozent. Anderes Beispiel sind die Smiley-Anzeigen, die Autofahrern in vielen Ortschaften signalisieren, ob sie die Geschwindigkeitsbeschränkung einhalten. Harvardprofessor Cass Sunstein, der das Nudging-Konzept entwickelt hat, erklärt, mit welch einfachen Mitteln man die Bürger bereits unterschwellig zum richtigen Verhalten bringen kann, ohne Verbote oder Vorschriften erlassen zu müssen. Von Sunstein und dem Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler stammt auch das Standardwerk „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“. „Wir sind dafür, dass private Institutionen, Behörden und Regierungen bewusst versuchen, Entscheidungen der Menschen so zu lenken, dass sie am Ende besser dastehen – und zwar gemessen an ihren eigenen Maßstäben“, erklärt Cass Sunstein sein Konzept. Nudging ist seit Jahren im politischen Betrieb auf dem Vormarsch, beginnend in den USA und Großbritannien, nun auch in Deutschland.

Lucia Reisch, Professorin an der Copenhagen Business School und Vorsitzende des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen beim deutschen Justizministerium, sieht in Nudging eine legitime Lenkung der Entscheidungen des Menschen durch die fürsorgliche Instanz des Staates – Stichwort „libertärer Paternalismus“. Nudging soll die Entscheidungsstruktur so ändern, dass Menschen trotz ihrer Bequemlichkeit und mangelnden Selbstkontrolle die «richtige» Wahl treffen und so ihre langfristigen und selbst gesetzten Ziele erreichen. Wenn ich Energiesparen gut finde, aber zu träge bin, es wirklich zu tun, lenkt mich Nudging durch kleine Schubser in die richtige Richtung.

Gegner des Nudgings sprechen von einer unterschwelligen Beeinflussung, Einmischung und Bevormundung durch den Staat. Wer entscheide denn, in welche Richtung man geschubst werde? Wer definiert die Ziele? Professor Reisch widerspricht. Der entscheidende Unterschied zu Manipulation liege in der Transparenz der Ziele. Nudges funktionieren, obwohl die Ziele transparent gemacht werden. Jeder Betroffene habe stets die Möglichkeit, auszuscheren. Ziele des Nudgings müssten demokratisch legitimiert sein. Nudging sei deshalb ein geringerer Eingriff in die Entscheidungsfreiheit als Gebote oder Verbote.

Justiz- und Verbraucherminister Heiko Maas sieht in Nudging „ein sehr interessantes Konzept. Es ist eine gute Idee, wenn Menschen bessere Entscheidungen treffen, dabei aber völlig souverän sind“. Nichts anderes macht Werbung seit Jahrzehnten, ohne es so zu nennen: neben bloßen Produktinformationen werden möglichst ansprechende Bilder transportiert, die den potentiellen Konsumenten lenken und zu bestimmten (Kauf-)Verhalten bewegen sollen. Jeder kennt die Süßigkeitenregale an der Kasse von Supermärkten – ebenso eine Form des Nudgings. Warum also soll die Politik solche relevanten Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaft nicht nutzen?

Zu mehr Nachhaltigkeit nudgen?

Doch wie lässt sich der Ansatz des Nudgings nutzen, um Menschen zu einer nachhaltigeren Lebensweise zu bewegen? Um das Handeln seiner Bürger in eine bestimmte Richtung zu lenken, standen dem Staat bisher neben monetären Mitteln wie Subventionen oder Steueranreizen entweder die weichen Mittel der Kommunikation zur Verfügung, also Aufklärungs-, Bildungs- und Informationskampagnen im weitesten Sinne. Auf der anderen Seite stehen harte Mittel wie Vorschriften, Verbote und Gesetze. Doch wie oben beschrieben, beruht ein Großteil unserer Entscheidungen eben nicht auf unserer Ratio.

Vielen fällt es schwer, sich die Folgen ihres Handelns bewusst zu machen, beispielsweise, welchen Nutzen es langfristig erbringt, weniger Auto zu fahren, das Licht auszuknipsen oder Strom aus Windenergie zu beziehen. Zudem vereinfachen Menschen angesichts von Stresssituationen ihr Entscheidungsverhalten auf wenige Handlungen: dem drohenden Klimawandel begegnen sie etwa damit, den Müll zu recyceln und Energiesparlampen zu kaufen. Doch ein oder zwei gute Taten reichen natürlich nicht aus.

Mit Nudging erhält die Politik eine weitere Möglichkeit, den Handlungskontext seiner Bürger entsprechend zu gestalten. Nudging kann hier Anstöße geben, z.B. darauf aufmerksam machen, wie viel Energie gerade verbraucht wird. Es gibt auch in Deutschland bereits erste Versuche, die neuen Erkenntnisse der Wissenschaft praktisch umzusetzen. Städte, Wohlfahrtsverbände und Organisationen entwickeln Aktionen und Programme, die tiefer ansetzen als reine Informationskampagnen und das Handeln direkt angehen – in Richtung mehr Nachhaltigkeit. Trotzdem ist Nudging kein Allheilmittel, um Menschen zu einem grüneren Lebensstil zu bewegen.

Ein bekanntes Beispiel für Nudging im Bereich Energie stammt aus Kalifornien. Dort war im Sommer wegen der zahlreichen Klimaanlagen oft die Stromversorgung zusammengebrochen. Politiker ebenso wie Bürger waren zwar für Energiesparen – dennoch änderte kaum jemand sein Verhalten. Also wurden Verbraucher mit ihrer Stromrechnung informiert, wie hoch der Energieverbrauch ihrer Nachbarn im gleichen Zeitraum war. Besonders sparsamen Bürgern wurde ein Smiley auf ihre Rechnung gedruckt. Allein diese Maßnahmen führten zu einem bewussteren und damit niedrigeren Stromverbrauch.

Gerade in Büros, wo Licht, Computer, Drucker und andere Geräte dauernd angeschaltet sind, kann nachhaltiges Handeln und Stromsparen durch Nudgings angeregt werden, ohne dass es zu Einbußen der Arbeitsqualität kommt. Ob durch Hinweise am Lichtschalter zu Energieverbrauch und CO2-Ausstoß, angepasste Gerätevoreinstellungen (z.B. doppelseitigen Druck, Menüfenster mit der Frage, ob das Dokument wirklich ausgedruckt werden muss, etc.) oder tagesaktuelle Stromsparrankings der einzelnen Abteilungen sind zahlreiche Ansätze denkbar. Energie- und Ressourceneinsparungen bei Papier, Wasser, Toner etc. machen sich schnell positiv bemerkbar. Zu Recycling und Müllvermeidung kann ebenfalls genudged werden. Nachhaltigkeitsbewusstsein sollte intern auch entsprechend als Ziel kommuniziert und vorgelebt werden.

Willst Du etwas für die Umwelt erreichen, erwähne die Umwelt nicht

Eine Studie des Ecologic Institut, Berlin für die Generaldirektion Umwelt in der Europäischen Kommission ergab, dass direkte Apelle zu mehr Umweltbewusstsein weniger wirksam sind, als beschreibende Standardmitteilungen, die das Verhalten des Einzelnen in den Gruppenkontext stellen oder emotionsgeladene Themen wie Gerechtigkeit, Gesundheit oder Lebensqualität thematisieren. Beispiel: die Hinweise in Hotels, dass das Einsparen täglich frischer Handtücher die Umwelt schone. Besser wären Sätze wie: Die Mehrzahl der Gäste dieses Zimmers verwendet die Handtücher mindestens zweimal während ihres Aufenthalts. Entscheidungsträger sollten dies beachten, wenn sie Nudgings entwickeln, die zu mehr Umweltschutz auffordern wollen. Umweltfreundlicheres Verbraucherverhalten kann demnach manchmal am besten dadurch erreicht werden, dass man die Umwelt gar nicht erwähnt.

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