Ob im Straßen- oder Städtebau, bei Energiewendeprojekten oder der Gestaltung öffentlicher Einrichtungen – kaum ein Groß- und Infrastrukturprojekt scheint sich heute noch realisieren zu lassen, ohne die betroffenen Bürgerinnen und Bürger mehr oder weniger intensiv in den Planungs- und Entscheidungsprozess einzubinden. Doch nicht nur bei Investoren aus der Privatwirtschaft, sondern auch bei Kommunen, Behörden und der öffentlichen Hand stößt die These teilweise auf Skepsis, dass sich Bauprojekte durch Bürgerbeteiligung leichter umsetzen lassen. Kritiker sehen darin eher eine Zeit- und Ressourcenvergeudung, die die Kostenplanung ihrer Projekte erschwert. Bürgerbeteiligung fällt deshalb manchmal bei öffentlichen Bau- und Infrastrukturprojekten eher zurückhaltend aus. Doch lohnt es sich wirklich, an dieser Stelle Zeit und Geld sparen zu wollen?
Der umfassende Umbau des Energiesystems in Deutschland von konventioneller zu erneuerbarer Energieerzeugung impliziert landesweit zahlreiche Infrastrukturprojekte und die Einführung neuer Technologien. Zudem ist die Energiewende in ihrer derzeitigen Form dezentral in der Fläche organisiert, d.h. die Standortfrage spielt eine entscheidende Rolle. Das bedeutet, dass zahlreiche Bürger an ihren Wohnorten mit Anlagen der erneuerbaren Energien konfrontiert werden. Das führt relativ sicher zu standortbezogenen Akzeptanzproblemen und gilt auch für andere Groß- und Infrastrukturprojekte: Position und Größe eines Windparks, Trassenverlauf der Umgehungsstraße oder Ausgestaltung und Lage eines Neubaugebiets. Auf Grund von Einsprüchen und Gerichtsverfahren im Planungsprozess kann es zu erheblichen Verzögerungen des Terminplans und zu Kostensteigerungen bei der Realisierung kommen. Viele Projektverantwortliche mussten schon schmerzlich erfahren, dass sie sich ohne Bürgerbeteiligung viel mehr Ärger einhandeln und die Realisierung letztlich langsamer erfolgt. „Die meisten Vorhabentra?ger sind mittlerweile zu der Erkenntnis gelangt, dass Rechtssicherheit alleine nicht mehr ausreicht, um ein Infrastrukturvorhaben zu realisieren. Beho?rden und Unternehmen haben vielmehr die Aufgabe, fu?r ihre Projekte in der O?ffentlichkeit zu werben und sie zustimmungsfa?hig zu machen“, so der Verein Deutscher Ingenieure e.V. in einem Papier zum Thema Infrastruktur vom März 2013. Großvorhaben sind deshalb ohne Bürgerbeteiligung kaum mehr realisierbar.
Entscheidend ist es, in einem möglichst frühen Stadium des Projekts mit der Bürgerbeteiligung zu beginnen und diese erst zu beenden, wenn das Projekt fertig ist. Dabei bedeutet Bürgerbeteiligung nicht automatisch eine aktive Mitentscheidung der Bürger, sondern kann sich auf die laufende und fundierte Information und Diskussion beschränken. Zudem müssen sämtliche Interessengruppen im Umfeld des Projekts Berücksichtigung finden, nicht nur Anwohner oder Naturschützer. Eine systematische und professionell vorbereitete Bürgerbeteiligung hilft nicht nur dabei, die Risiken eines Projektes zu minimieren, sondern kann auch dazu beitragen, durch den konstruktiven Ideeninput der Bürger Projekte zu verbessern.
Hier findet in den letzten Jahren ein Umdenken statt. Zwar gibt es kein Gesetzt, das private Bauträger zu Bürgerbeteiligungsprozessen zwingen kann. Doch auch Privatinvestoren und die Bauwirtschaft erkennen inzwischen größtenteils die Notwendigkeit von Bürgerbeteiligung und planen solche Bürgerbeteiligungsprozesse in ihre Großprojekte fest ein. Verbände wie der VDI erarbeiten Richtlinien und Leitfäden zum Thema. Denn fehlende Akzeptanz in der Gesellschaft führt dazu, dass Projekte nicht oder nicht fristgerecht umgesetzt werden können. So hat die Bauwirtschaft 2012 ausgerechnet, dass in Deutschland aktuell 81 Infrastrukturprojekte mit einem Investitionsvolumen von 51 Milliarden Euro, vornehmlich aus den Bereichen Verkehr und Energieversorgung, nicht umgesetzt werden konnten. Eine der Hauptursachen hierfür war die fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung. „Die Folgen mangelnder Akzeptanz, das heißt die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Folgeschäden, sind zu hoch, um sich nicht aktiv mit neuen Konzepten zur Bürgerbeteiligung zu befassen“, erklärte damals der VDI-Direktor Ralph Ap¬pel.
Auf Landesregierungsebene ist Baden-Württemberg beim Thema Bürgerbeteiligung richtungsweisend. Gisela Erler von den Grünen ist hier seit 2011 als Staatsrätin der baden-württembergischen Landesregierung zuständig für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung. Unter ihrer Führung wurde erstmals ein umfassender „Leitfaden für eine neue Planungskultur“ für die Landesbehörden entwickelt und eine Verwaltungsvorschrift zum Thema Öffentlichkeitsbeteiligung erlassen, die die informelle Bürgerbeteiligung in Planungsverfahren verbindlich geregelt. An diesem Leitfaden soll sich auch die freie Wirtschaft orientieren. Aber auch andere Länder ziehen inzwischen nach. Selbst im Koalitionsvertrag der Bundesregierung hat das Thema Bürgerbeteiligung inzwischen Eingang gefunden.
Doch wer trägt die Kosten für den Beteiligungsprozess und wie hoch sind diese? Private Investoren müssen die Kosten für Bürgerbeteiligung meist selbst tragen. Der Ingenieursverband VDI kalkuliert dabei in seiner Leitlinie mit einem Durchschnittswert von etwa einem Prozent der Baukosten. In den USA wird der Aufwand für Bürgerbeteiligung bereits seit Jahren als fester Bestandteil der Kostenplanung einkalkuliert, dies setzt sich zunehmend auch bei uns durch. Damit wird Bürgerbeteiligung bei Großvorhaben heute kaum mehr an den Kosten scheitern.