„Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.“ – Demokrit
Einer der häufigsten und gravierendsten Fehler im Zusammenhang mit Bürgerbeteiligung ist ein zu später Beginn. Viele Projekte lassen sich schwerer umsetzen, dauern länger und kosten mehr oder scheitern völlig, weil die Projektverantwortlichen sich für einen zu späten Zeitpunkt der Bürgerbeteiligung entschieden haben. Doch wann ist der geeignete Zeitpunkt? Und welche Vorteile bringt eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung?
Ein aktuelles Beispiel aus Süddeutschland zeigt das Dilemma: In traumhafter Natur soll ein Pumpspeicherkraftwerk gebaut werden, die Pläne werden in der Presse bekannt, doch die Informationslage ist noch recht bescheiden. Trotzdem formiert sich Widerstand in der Region, mangels konkreter Informationen zum Projekt wachsen Gerüchte in den Himmel und es bilden sich Fronten, die von der Presse dankbar aufgegriffen und verstärkt werden. Doch statt mit professioneller Kommunikation den Dialog zu suchen, hüllen sich Projektverantwortliche bisher in Schweigen. Bürgerbeteiligung ist aktuell offenbar nicht geplant.
Der Verwaltung und Politik auf kommunaler, Landes- wie Bundesebene ist in den meisten Fällen inzwischen klar, dass sich Groß- und Infrastrukturprojekte, gerade im Zusammenhang mit der Energiewende, heute ohne Bürgerbeteiligung kaum mehr erfolgreich umsetzen lassen. Stadtentwicklung, Straßenbau, Energiewende und Netzausbau – überall formiert sich Widerstand der betroffenen Bürger. Auch private Träger wie Investoren, Projektentwicklungs- und Immobiliengesellschaften sowie Architekturbüros machen ihre Erfahrung damit. Bürger fordern heute mehr Information und Mitsprache bei der Planung und Zulassung von Groß- und Infrastrukturprojekten. Für eine erfolgreiche Umsetzung von solchen Projekten ist deshalb ein frühzeitiger Dialog mit den Interessengruppen vor Ort zwingend notwendig.
Das größte Manko bei der Umsetzung von Groß- und Infrastrukturprojekten ist meist die mangelnde bzw. mangelhafte Kommunikation. Viele Bürger haben das Gefühl, nicht rechtzeitig und umfangreich genug über die Vorhaben informiert und an den Verfahrensentscheidungen beteiligt zu werden. Selbst wenn die gesetzlich vorgeschriebene formelle Bürgerbeteiligung auf allen Planungsebenen wie Raumordnungs- oder Planfeststellungsverfahren peinlich genau eingehalten wird, reicht das heute nicht mehr aus.
Bürgerbeteiligung – aber wann?
Bürger stehen Veränderungen in ihrem Umfeld grundsätzlich erstmal skeptisch gegenüber. Deshalb ist es wichtig, möglichst frühzeitig und kontinuierlich zu kommunizieren, was sich ändern wird und wie sich der Einzelne informieren und beteiligen kann. Beteiligung kann dabei von der bloßen Information der Bürger bis hin zu ihrer aktiven Mitbestimmung reichen. Ziel ist es, durch Transparenz und Offenheit Vertrauen aufzubauen und mögliche Konfliktpunkte konstruktiv und sachgerecht aufzulösen. Professionelle Bürgerbeteiligung hilft, die Akzeptanz und damit die Chancen für einen Konsens zu erhöhen und so eine größere Zustimmung zum Planungsergebnis zu erzielen, Verfahren zu beschleunigen und Zusatzkosten, z.B. durch Bauverzögerungen wegen Gerichtsverfahren, zu vermeiden.
Der Zeitpunkt, zu dem die Öffentlichkeit beteiligt wird, beeinflusst auch entscheidend den Gestaltungsspielraum, den die Bürger erhalten. Für eine effiziente und wirksame Bürgerbeteiligung muss die Öffentlichkeit so früh wie moöglich eingebunden werden, also „zu einem Zeitpunkt, zu dem noch alle Optionen offen sind“ (siehe AarhusKonvention, Artikel 6).
Der optimale Zeitpunkt für den Start von Bürgerbeteiligung im Planungsprozess hängt auch von den Zielen und der Intensitätsstufe der Beteiligung ab. Will man die Bürger vor allem informieren oder konsultieren, also ihre Stellungnahmen zu einem Projektplan einholen, so muss dieser natürlich erst ausgearbeitet vorliegen. Will man jedoch gemeinsam mit den betroffenen Bürgern ein Projekt planen und umsetzen, ist eine Beteiligung von Anfang an unabdingbar. Je später die Öffentlichkeit eingebunden wird, umso mehr Entscheidungen zum Projekt sind bereits gefallen und umso weniger Gestaltungsspielraum bleibt für die Bürger. Das führt dann zu Widerstand und Frustration bei den Betroffenen und beeinflusst wesentlich den Erfolg und auch die Kosten des Projekts.
Gestaltungsspielräume offensiv nutzen
Ein weiterer wichtiger Faktor bei der Wahl des richtigen Zeitpunkts für Bürgerbeteiligung ist die Emotionalisierung der Zielgruppen. Je früher die Bürger beteiligt werden, desto konstruktiver und sachlicher gestaltet sich in der Regel der Beteiligungsprozess. Die perso?nliche Betroffenheit von einzelnen Bürgern ist geringer, Einzelinteressen spielen noch keine so dominante Rolle. Die Projektverantwortlichen können aus der Offensive agieren.
Beginnt man dagegen erst mit Bürgerbeteiligung, wenn sich bereits erste Gegnerschaften formiert haben, Beschwerden und Widersprüche aufkommen und sich bei den Bürgern schon Ärger und Frustration angesammelt haben, geraten die Projektverantwortlichen in eine defensive Verteidigungsrolle, aus der heraus es viel schwieriger ist, das Projekt konstruktiv voranzutreiben.
„Je konkreter die Planung schon ist, je fixer die Bilder oder Entwürfe im Kopf der Beteiligten verankert sind, desto enger wird der Gestaltungsspielraum“, erklärt dazu das Praxisbuch Partizipation der Stadt Wien . Besteht der erste Schritt von Bürgerbeteiligung erst in der Vorlage eines ausgearbeiteten Planentwurfs zur Kommentierung, werden sich vor allem jene beteiligen, die gegen das Projekt sind. Zu diesem Zeitpunkt wird es dann schwierig, alle Interessengruppen ausgewogen in die Diskussion einzubeziehen. Nachträgliche Planänderungen sind zudem meist aufwendig, zeit- und kostenintensiv.
Das Partizipationsparadox
Die großen Entscheidungen im Rahmen einer Projektentwicklung werden meist zu einem fru?hen Zeitpunkt getroffen. Hier stehen strategische Grundsatzfragen an nach dem Bedarf (was brauchen wir?), dem Ziel und dem Zweck (wozu brauchen wir das?), den Kapazitäten (wie viel brauchen wir davon?) oder den Standorten (wo wäre der optimale Platz dafür?).
In dieser Phase eines Projekts, also im Vorfeld eines eigentlichen, formellen Planungsverfahrens, steht der Blick auf das Ganze noch im Vordergrund, die Planungsunterlagen können noch den Wünschen und Ideen aller Interessengruppen angepasst werden. Doch während anfangs meist noch mehrere Optionen zur Wahl stehen, reduzieren sich diese zwangsläufig im Projektverlauf, je weiter fortgeschritten das Planungsverfahren ist. Die Offenheit im Entscheidungsprozess nimmt also ab. Je früher Bürgerbeteiligung beginnt, desto einfacher lassen sich mögliche Konfliktpotenziale noch beseitigen oder minimieren.
Andererseits ist das öffentliche Interesse und Engagement fu?r Projekte zu Beginn der Planungsphase meist relativ gering. Bürger zu diesem Zeitpunkt zu einer kontinuierlichen Beteiligung zu animieren ist schwierig, da der Abstraktionsgrad der Projektplanung noch hoch ist und eine Realisierung des Projekts meist noch in weiter Ferne liegt. Je weiter die Planungen fortschreiten und je weniger Gestaltungsspielraum noch zur Verfügung steht, desto größer wird meist das öffentliche Interesse und die Betroffenheit der Bürger. Denn nun zeichnet sich die eigene Betroffenheit konkreter ab und das Engagement steigt. Man spricht hier vom Partizipationsparadox.
Paradebeispiel ist hier wie so oft beim Thema Bürgerbeteiligung Stuttgart 21. So antworteten Bürger auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt sie sich erstmals veranlasst sahen, sich gegen Stuttgart 21 zu engagieren, zu 31 Prozent mit der Ablehnung des Bürgerbescheids 2007, auch in den Jahren danach lagen die Werte für Engagement hoch, während zehn Jahre vorher bei der Vorstellung der Architektenentwürfe nur 5 Prozent reagierten .
Fazit
Bürgerbeteiligung sollte so früh wie möglich erfolgen, wenn noch größtmöglicher Gestaltungsspielraum besteht. Dazu gehört eine möglichst frühzeitige, umfassende und zielgruppengerechte Information der Planungsbetroffenen im Vorfeld eines formalen Planungs- und Genehmigungsverfahrens. Dies kann das Interesse am Vorhaben steigern und die Partizipation erhöhen. Die Interessengruppen müssen dazu frühzeitig angesprochen und zum Dialog aktiv eingeladen werden.
Aber auch wenn man den „optimalen Zeitpunkt“ der Bürgerbeteiligung schon verpasst hat und sich spätere Beteiligung oft vor allem in Widerstand äußert, ist es nie zu spät zum Dialog aller Beteiligten und einer Versachlichung der Debatte.