Der Klimaschutz muss ins Grundgesetz

Die französische Nationalversammlung in Paris hat kürzlich mit großer Mehrheit einem Vorschlag einer Initiative von Bürgerinnen und Bürgern zugestimmt und will Klimaschutz verpflichtend in die französische Verfassung aufnehmen. In Artikel 1 garantiert der französische Staat demnach, gegen den Klimawandel zu kämpfen und die biologische Vielfalt zu schützen. Ein Bürgerreferendum muss der Änderung bis Ende des Jahres noch zustimmen.

Doch wie sieht es in Deutschland aus? Im deutschen Grundgesetz ist Klimaschutz bislang nur unzureichend abgebildet. Artikel 20a der deutschen Verfassung gibt zwar schon jetzt vor: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Doch von Klimaschutz ist darin explizit nicht die Rede. Selbst das Bundesverfassungsgericht merkt  dazu an, dass das Grundgesetz den Gesetzgeber zwar anhalte, das Nachhaltigkeitsprinzip zu beachten. Doch Vorgaben über das Schutzniveau oder die Art der Gegenmaßnahmen bei CO2-Emisionen mache es nicht.

Der Berliner Umwelt- und Staatsrechtler Prof. Dr. Christian Calliess kritisiert in einem Interview mit der Konrad Adenauer-Stiftung 2019[1], der Klimaschutz führe ein „verfassungsrechtliches Schattendasein“. Es werde bislang sowohl im Grundgesetz als auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur unzureichend abgebildet, dass es langfristig um das Überleben der Menschheit gehe. Umwelt- und Klimaschutz würden auch langgfristig zentrale Herausforderungen für unseren Staat und unsere Gesellschaft bleiben. Um die Einhaltung der Klimaschutzziele zu sichern, sollte deshalb das Umweltstaatsprinzip vergleichbar dem Demokratie-, Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip im Grundgesetz verankert werden. Die Langzeitverantwortung für die Bewahrung der Schöpfung auch für künftige Generationen sollte durch verfassungsrechtliche Vorkehrungen klar geregelt sein. Denn anders als bei vielen anderen Themen stellt sich beim Klimaschutz das Problem irreversibler Schäden, wenn man nicht rechtzeitig umsteuert. Es gilt, Nachhaltigkeit und Klimaschutz rechtlich verbindlicher zu formulieren und für eine effektive Umsetzung zu sorgen.

Problem der Unverbindlichkeit

In der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahre 2016 bekennt sich die Bundesregierung zwar zu Nachhaltigkeit und zum Klimaschutz, doch wurden seitdem fast alle Ziele dieser Strategie verfehlt. Das meiste davon ist unverbindlich geblieben.

„Oftmals verfahren wir aber gerade dann, wenn es um konkrete Schutzmaßnahmen geht, halbherzig. Seit dem Klimagipfel von Rio im Jahre 1992 gibt es deutliche Umsetzungsdefizite,“ erklärt Calliess. „Wir brauchen ein verfassungsrechtlich abgesichertes Schutz- und Monitoringkonzept, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen zum Klimaschutz, die die Politik für richtig und notwendig erkannt hat, auch tatsächlich umgesetzt werden.“ Die Ziele der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes müssten zukünftig bei jedem Gesetzesvorhaben mitgedacht werden.

Mehr Gewicht des Klimaschutzes  gegen die Wirtschaftsfreiheit

Gegenwärtig spielen Umwelt- und Klimaschutz in der Abwägung mit anderen wirtschaftlichen oder sozialen Gemeinwohlbelangen eine eher untergeordnete Rolle. Der Schutz der Berufs- und Wirtschaftsfreiheit sowie der Eigentumsschutz sind dagegen traditionell sehr starke Grundrechte. Einschränkungen sind nur bei gewichtigen Gründen möglich. Mit Aufwertung des Klimaschutzes im Grundgesetz würde sich das ändern. Im Abwägungsprozess bekämen Klima- und Umweltschutz sehr viel mehr Gewicht.

Die Grünen sind mit ihrem Antrag auf eine entsprechende Grundgesetzänderung aus dem Jahr 2018 zwar gescheitert, doch inzwischen mehren sich die Stimmen derer, die eine Aufnahme fordern. Die Grünen hatten gefordert, dass Klimaverträge automatisch Verfassungsrang erhalten, so wie das Völkergewohnheitsrecht schon heute[2]. Derzeit werden Völkerrechtsverträge im Inland erst wirksam, wenn der Gesetzgeber ein ausdrückliches Umsetzungsgesetz verabschiedet. Das Grundgesetz erlaubt es Deutschland noch, völkerrechtliche Verträge unerfüllt zu lassen. Das würde der Grünenvorschlag eines Automatismus zukünftig ebenso unterbinden, wie die Aufnahme ins Grundgesetz.

Rechtsverbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge wie dem Pariser Klimaabkommen

Die deutsche Verfassung schreibt dem Staat zwar eine allgemeine Verpflichtung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen vor, doch es gibt „kein einklagbares Grundrecht auf bestimmte Maßnahmen des Klimaschutzes“[3]. Die niederländische Regierung wurde dagegen im Dezember 2019 vom obersten Gericht aufgrund einer Klage der niederländischen Umweltschutzorganisation Urgenda dazu verurteilt, die Treibhausgasemissionen bis Ende 2020 auf maximal 25 Prozent des Ausstoßes von 1990 zu senken. Ein riesiger Erfolg: Zum ersten Mal stellte ein Gericht fest, dass Versprechen, die eine Regierung im Rahmen des Pariser Klimaabkommens abgegeben hatte, auch vor Gericht durchsetzbar sind. Die Regierung der Niederlande hat sich daraufhin verpflichtet, Maßnahmen wie ein verschärftes Tempolimit auf Autobahnen zu erlassen und den Ausstieg aus der Kohleenergie zu beschleunigen.

Die Europäische Kommission hat 2020 einen Entwurf für ein Europäisches Klimagesetz vorgelegt, das die Ziele des „Green Deal“ – Europa soll bis 2050 klimaneutral werden – verbindlich festschreiben soll. Das Europäische Parlament will den Kommissionsentwurf nun durch einen Artikel ergänzen, der die Mitgliedstaaten ausdrücklich zu einem gerichtlich durchsetzbaren Recht auf Klimaschutz verpflichten soll. Hält sich eine Regierung nicht an ihren Klimaschutzplan, hätten betroffene Personen oder NGOs die Möglichkeit, vor Gericht zu ziehen. Ob dieser Passus tatsächlich aufgenommen wird, ist derzeit noch offen.

Auch in Deutschland gibt es aktuelle Klimaklagen von Umweltverbänden wie Greenpeace, Germanwatch oder der Deutschen Umwelthilfe, die eine aktivere Klimapolitik durchsetzen sollen. Allerdings können in Deutschland nur betroffene Einzelpersonen klagen, die Hürden sind hoch, Popularklagen sollen so verhindert werden.

Die Anzahl sogenannter „strategischer Klagen“ hat nicht nur im Bereich Umwelt- und Klimaschutz zugenommen. Oft geht es darum, öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. „Solche strategischen Klagen führen in vielen Fällen zu einer Bereicherung der politischen Debatte,“ erklärt Prof. Alexander Graser aus Regensburg. „Rechtskonflikte werden durch die öffentliche Aufmerksamkeit in einem guten Sinne politisiert.“

[1] Prof. Dr. Christian Calliess, https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/der-klimaschutz-fuehrt-ein-verfassungsrechtliches-schattendasein

[2] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mehr-wirtschaft/was-das-grundgesetz-nicht-zum-klimaschutz-sagt-16312942.html

[3] Rechtsprofessorin Ann-Kathrin Kaufhold, https://www.deutschlandfunk.de/klagen-fuer-das-klima-wie-mehr-klimaschutz-vor-gericht.724.de.html?dram:article_id=493002

Veröffentlicht unter 2021, Blogbeiträge