„Demokratie lebt vom Streit, von der Diskussion um den richtigen Weg. Deshalb gehört zu ihr der Respekt vor der Meinung des anderen.“
Richard von Weizsäcker
Spätestens im Zuge der Energiewende und seit Stuttgart 21 wird die Rolle der Bürgergesellschaft bei der Konsensfindung bei Großprojekten neu definiert. Beschlüsse „per Order de Mufti“ sind heute gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert. Bürger fordern mehr Information und Mitsprache bei der Planung und Zulassung von Großprojekten. Statt einer nur einseitigen Information top down ist heute ein frühzeitiger Dialog mit den lokalen Interessengruppen auf Augenhöhe nicht nur erwünscht, sondern für das Gelingen von Infrastrukturmaßnahmen zwingend nötig. Dementsprechend nimmt die Bedeutung professioneller Kommunikation mit den einzelnen Stakeholdern zu. Der Beitrag schildert die Instrumente und Zielsetzungen des Bürgerdialogs.
Schon in der Vergangenheit war die Beteiligung betroffener Bürger auf allen Planungsebenen wie Raumordnungs- oder Planfeststellungsverfahren rechtlich vorgesehen. Ein „Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren (PlVereinhG)“ soll die zuständigen Behörden zukünftig sogar verpflichten, bereits vor den Planfeststellungsverfahren die Öffentlichkeit einzubeziehen, um mögliche Konflikte bereits im Frühstadium der Planungen zu berücksichtigen und eine Frontenbildung zu vermeiden.
Doch offensichtlich fühlen sich die Bürger dennoch häufig nicht früh und umfangreich genug an Verfahrensentscheidungen beteiligt. Dabei dient eine professionelle Bürgerbeteiligung und mehr Transparenz bei der Planung letztlich dazu, eine größere Zustimmung zum erreichten Planungsergebnis zu erzielen, Verfahren im Endeffekt zu beschleunigen und Zusatzkosten zu vermeiden.
Ziele und Funktionen der Bürgerbeteiligung
Um die Zustimmung von Bürgern zu einem Infrastrukturprojekt zu gewinnen, ist es wichtig, dass sie das gesamte Verfahren als fair ansehen. Der Aufbau eines wirklichen aufrichtigen Dialoges auf Augenhöhe, die neutrale und frühzeitige Information und die Diskussion aller Alternativen auf dem Weg zu einer Konsensfindung sind deshalb Ziel des Beteiligungsprozesses. Von zentraler Bedeutung ist die Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit des Prozesses. Dazu gehört nicht nur ein höflicher und respektvoller Umgang mit der gegnerischen Seite, sondern insbesondere die Schaffung einer Vertrauensbasis zwischen allen Interessensgruppen. Wesentlich ist auch, die Möglichkeiten und Grenzen des Beteiligungsprozesses im Vorfeld klar zu benennen, um keine falschen Erwartungen bei den Bürgern zu schüren. Bürgerbeteiligung trägt schließlich auch dazu bei, das Vertrauen der Bürger in den Staat und die Politik wieder zu steigern und das Demokratieverständnis zu fördern.
Intensität der Beteiligung
Beteiligung kann in unterschiedlicher Intensität erfolgen und von der bloßen Information der Bürger bis hin zur Möglichkeit einer aktiven Mitbestimmung reichen. In Anlehnung an das Modell der „Partizipationsleiter“ von S.R. Arnstein unterscheidet man drei Stufen.
Die Information beinhaltet keine aktive Einflussnahme der Beteiligten auf einen Planungsprozess, sondern dient der Angleichung des Wissensstandes aller Interessensgruppen. Instrumente sind beispielsweise Projektbroschüren, Mailings, Projekt-Internetseiten, Social Media Plattformen, klassiche Aushänge, Infotelefone sowie Info-Veranstaltungen und Planungsausstellungen.
Einen Schritt weiter geht die Konsultation, bei der die Bürger im Dialog aktiv Stellung nehmen und ihre Meinung äußern können. Eingesetzte Maßnahmen sind etwa Bürgerbefragungen, Internet-Foren, Social Media Plattformen und klassische Bürgerversammlungen. Dabei steht es den Entscheidungsträgern letztlich aber frei, ob sie die Einwände und Vorschläge der Bürger bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen oder nicht.
Am weitesten geht die Kooperation, bei der die Bürger bei einer Entscheidung in unterschiedlicher Intensität mitbestimmen können – bis hin zu einer gleichberechtigten Entscheidungsfindung. Eingesetzte Methoden sind z. B. Mediationsverfahren und Runde Tische.
Erfolgsfaktoren der Bürgerbeteiligung
Bürger stehen Veränderungen in ihrem unmittelbaren Umfeld meist skeptisch bis ablehnend gegenüber. Deshalb ist es nicht nur wichtig, frühzeitig darüber zu informieren, was sich ändert, sondern auch, wie und wo sich der Einzelne informieren und beteiligen kann. Das Schaffen von Beteiligungsmöglichkeiten allein sagt jedoch noch nichts über deren Qualität aus. Diese wird von zahlreichen Faktoren bestimmt, die es zu berücksichtigen gilt:
– Fair: Sowohl der gesamte Beteiligungsprozess als auch der persönliche Umgang miteinander muss von allen Beteiligten als fair und gerecht empfunden werden.
– Ernsthaft: Bürger spüren sehr schnell, ob die Beteiligung ernsthaft gemeint ist oder nur als Instrument zur Befriedung dienen soll. Deshalb muss der Prozess aufrichtig und authentisch sein.
– Umfassend: Im Beteiligungsprozess darf keine Interessengruppe ausgeschlossen werden. Das macht eine fundierte Analyse aller potentiellen Zielgruppen im Vorfeld nötig.
– Frühzeitig: Die Beteiligung und Information der Bürger muss frühzeitig und kontinuierlich über den gesamten Beteiligungsprozess erfolgen. Eine frühzeitige und kontinuierliche Beteiligung verbessert auch die Kompetenzen aller Involvierten und fördert so überhaupt ihre Befähigung zur Beteiligung.
– Aufmerksam: Der erste Schritt von Dialog ist das aufmerksame Zuhören, denn nur, wer die Bedenken und Ängste der Gegenseite kennt, kann Lösungen anbieten. Zudem wirkt Zuhören deeskalierend, gerade wenn konfliktträchtige Themen im Mittelpunkt stehen.
– Transparent: Sämtliche Interessengruppen müssen bezüglich der Zielsetzung, der Vorgehensweise, der Fristen, wichtiger Fragestellungen sowie ihrer eigenen Einflussmöglichkeiten jederzeit informiert sein.
– Verständlich: Sämtliche Informationen müssen präzise und allgemein verständlich aufbereitet sein, ohne dass wichtige Sachinformationen verloren gehen.
– Zielgruppenspezifisch: Informationen sollten über verschiedene Medien verbreitet werden, um unterschiedliche Zielruppen ggf. über ihre spezifischen Informationskanäle zu erreichen.
– Ergebnisoffen: Die Beteiligung ist ergebnisoffen, d.h. im Rahmen des wirtschaftlich und rechtlich Machbaren werden alle Alternativen gleichberechtigt diskutiert
Pressearbeit als prozessbegleitendes Instrument
Die einmalige Bereitstellung gut aufbereiteter Informationen allein wird das Misstrauen der Bürger noch nicht ändern. Erst durch eine längerfristige, kontinuierliche und glaubwürdige Informationspolitik lässt sich eine Vertrauensbasis aufbauen. Problematisch ist nicht nur ein Mangel an Informationen, sondern auch die Überfrachtung, die eher für Verwirrung als Transparenz sorgt. Abhilfe schafft hier das Angebot unterschiedlich detaillierter Informationen sowie verständlicher, nicht zu technischer Zusammenfassungen.
Für die erfolgreiche Informationsvermittlung und Pressearbeit sollten interdisziplinäre Arbeitsgruppen gebildet werden, in denen Fachkompetenz bezüglich des Projekts mit Kommunikationskompetenz kombiniert sind. Von der Ernsthaftigkeit dieser Verknüpfung hängt auch der Erfolg und die Qualität der Öffentlichkeitsarbeit ab.
Besondere Aufmerksamkeit sollte dem Umgang mit der Presse geschenkt werden, da sie die Wahrnehmung und Akzeptanz eines Infrastrukturprojektes in der Öffentlichkeit wesentlich beeinflusst. Alle Mitarbeiter, die mit der Öffentlichkeit, speziell der Presse in Kontakt kommen, sollten im Vorfeld entsprechend geschult werden. Informationen müssen perfekt vorbereitet und möglichst frühzeitig und umfassend an die Presse gelangen, um nicht den Anschein zu erwecken, man wolle etwas verheimlichen. Dabei geht es nicht nur um die Verkündung der Erfolge, sondern auch um den offenen Umgang mit Kritik und Widerständen. Außerdem muss ein kompetenter fester Ansprechpartner für die Presse zur Verfügung stehen, der mit dem Projekt vertraut ist. Um richtig wiedergegeben zu werden, sollte man mit den Journalisten vereinbaren, dass Statements und Interviews vor Veröffentlichung gegengelesen werden dürfen. Von hoher Bedeutung für das Gelingen von Bürgerbeteiligungsmaßnahmen ist es außerdem, ausreichend Zeit für die Umsetzung aller Kommunikationsinstrumente einzuplanen.
Doch auch gut umgesetzte und rechtzeitig initiierte Informations- und Beteiligungsangebote an Bürger müssen nicht automatisch zu einer höheren Akzeptanz oder zum Erfolg des Infrastrukturprojekts führen. Auch Kompromissbereitschaft bei allen Beteiligten gehört zu den Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bürgerbeteiligung.