Der VW-Abgasskandal offenbart, dass die Nachhaltigkeits-Versprechen vieler Firmen nur Augenwischerei sind. Anbieter ökologischer Fonds reagieren nervös.
Kommentar von Jan Willmroth, Süddeutsche Zeitung, 30.09.15
Es ist aus heutiger Sicht ein unglaublicher Witz, was der Volkswagen-Konzern als Nachhaltigkeitsbericht für das vergangene Geschäftsjahr vorgelegt hat. Mehr als zweimal pro Seite enthält das 156 Seiten starke Heft den Begriff Umwelt. Nachhaltigkeit, heißt es gleich zum Einstieg im Kapitel zur Strategie, bedeute für den Konzern, langfristig und verantwortungsvoll zu wirtschaften und „nicht den schnellen Erfolg auf Kosten anderer“ zu suchen. Herrliche Zielvorgaben ziehen sich gemeinsam mit blumig formulierten Werten durch den Text, flankiert von allerhand Kennzahlen, die belegen sollen, wie fortschrittlich und umweltbewusst der Konzern ist. Auf Dauer erfolgreich könne ein Unternehmen nur sein, so steht es geschrieben, wenn es sich integer verhalte und Recht und Gesetz weltweit einhalte.
Wer gestern so formuliert hat, hat heute den allgemeinen Spott sicher. Denn VW hat eben genau das gemacht: den schnellen Erfolg auf Kosten anderer gesucht, Schadstoffwerte manipuliert, damit womöglich Millionen Menschen getäuscht. „Nachhaltigster Automobilhersteller der Welt“? Das ist schon ziemlich dreist. Umgekehrt muss man aber auch fragen, was die Flut an Nachhaltigkeitsberichten, was eine solche Auszeichnung eines Automobilherstellers, dessen Geschäft der Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren ist, überhaupt wert sein kann.
Im konkreten Fall war es die Ratingagentur Robeco, die gemeinsam mit dem Index-Anbieter S&P-Dow Jones VW als klassenbesten Autokonzern ausgezeichnet und bis gestern im weltweit meist beachteten Nachhaltigkeitsindex gelistet hat. Darin finden sich jene der 2500 größten Konzerne wieder, die im Branchenvergleich besonders gut abschneiden. Best-in-Class-Ansatz heißt das in der Fachsprache, er fußt auf der Idee, dass von einer Gruppe schmutziger Konzerne doch einer der sauberste sein muss. Deshalb ist der französische Ölkonzern Total vertreten oder der Rüstungskonzern Lockheed Martin. Auch diese Unternehmen veröffentlichen Nachhaltigkeitsberichte, wie fast jeder Konzern heutzutage. Über gute Taten zu reden und zu schreiben, scheint wichtiger zu sein, als sie umzusetzen.
Marketing-Maschine, die häufig in Verbrauchertäuschung gipfelt
Dabei braucht es ja Institutionen, die einzuschätzen helfen, wie umweltbewusst ein Unternehmen handelt und wie streng dessen selbstgesetzte Ziele sind. Nachhaltigkeits-Ratingagenturen machen sich aber leicht zu Erfüllungsgehilfen einer Marketing-Maschinerie, die am Ende in vielen Belangen nicht mehr ist als grüne Augenwischerei. Einer Marketing-Maschine, die häufig in Verbrauchertäuschung gipfelt und die es Unternehmen viel zu leicht macht, sich ohne größere Kontrolle als verantwortungsvoll und ökologisch korrekt zu gerieren.
Der VW-Skandal gehört zu den entlarvenden Momenten genau wie die Katastrophe mit der Ölbohrplattform von BP im Golf von Mexiko vor fünf Jahren. Damals fanden viele Anleger in ihren ethisch-ökologischen Finanzprodukten Aktien des britischen Ölkonzerns, so wie heute viele Anbieter VW-Anteile in ihren als grün beworbenen Fonds hielten. Wie eilig manche von ihnen reagiert und VW aus ihren Portfolios verbannt haben, zeigt doch, wie nervös die Branche reagiert, wenn Umweltskandale passieren oder kriminelle Machenschaften von Unternehmen bekannt werden. Das ist entlarvend für das Versprechen, mit dem eigenen Vermögen auch noch Gutes zu tun. Die Ankündigung hilft vielleicht dem Image von VW, es hilft Fondsanbietern, die vermeintlich umweltfreundliche Produkte verkaufen wollen. Dem umweltbewussten Anleger hilft es nicht.
Was ein wirklich „nachhaltiges“ Unternehmen ausmacht, ist schwer zu definieren, dazu ist der Begriff zu überdehnt. Ratingagenturen vergeben Noten, mit denen sie Einzelkriterien gewichten und verdichten. Daran orientieren sich Fondsgesellschaften, die sich zusätzlich eigene Ausschlusskriterien geben oder Gremien entscheiden lassen, was zulässig ist. Dabei sind sie alle auf Informationen eines Unternehmens angewiesen, auf dessen selbst kommunizierte Ziele und Standards. Laxe Kontrollen, nachlässige Überwachung von Lieferketten, vorsätzlicher Betrug: Solche Dinge lassen sich in diesen Prozessen offenbar leicht verstecken, das zeigt die VW-Affäre.
Den Anlegern bleibt die wenig tröstende Erkenntnis, dass grüne Versprechen oft wertlos sind. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als in Zukunft gezielt darauf zu achten, ob die Finanzbranche aus dem VW-Skandal lernt und ihre Methoden überarbeitet. Und für VW ist zu hoffen, dass der Verlust des Öko-Images als Mahnung verstanden wird: Umweltschutz? Sozialstandards? Jetzt erst recht.